Erfinderstory

4. Mai 2023

Innovative Speichertechnik für Windenergie

Salzwasser ist eine umweltfreundliche Batteriealternative. Davon sind die Gründer des Start-ups HOPES überzeugt. Das internationale Team bringt seinen auf Osmose beruhenden Energiespeicher direkt in der hohlen Basis von Windrädern unter.

Sie könnten in einem Windrad stehen!

Sie könnten in einem Windrad stehen: Tadeh Nazari, Alfred-Walter Haag und Falah Alobaid (v. l. n. r.) auf der oberen Ebene ihrer Pilotanlage zur Energiespeicherung auf Basis von Salzlösung (im Tank links). (Foto: Störiko)


Hybrid Osmose Pumpen Energie-Speicher für jedes Windrad

„Irgendwann wird jedes Gebäude und jedes Windrad mit unserer Speichertechnik ausgerüstet sein“, davon ist das Gründerteam überzeugt. HOPES steht nicht nur für diese Hoffnung, sondern auch für „Hybrid Osmose Pumpen Energie-Speicher“.

Die Idee brachte Falah Alobaid 2018 aus dem Mittleren Osten mit, wo er mit Meerwasser-Entsalzungsanlagen arbeitete: „Dabei werden Wasser und Salz mit Hilfe von Strom getrennt – warum sollte man nicht auf dem umgekehrten Weg Strom erzeugen können?“ Um Salz aus dem Meer zu gewinnen, wird entweder mit viel Heizenergie das Wasser verkocht oder das Meerwasser wird – mit hohem Druck und somit Energie – durch Membrane gepresst, die das Salz auf einer Seite zurückhalten.

Umgekehrt kann bei starkem Wind der Energieüberschuss im Windrad eingesetzt werden, um Salz und Wasser zu trennen. Die beiden Stoffe zieht es aber zuneinander: Ohne Trennmembran strömt die Salzlauge so lange zum Wasser, bis wieder ein einheitliches Mischungsverhältnis hergestellt ist – Alobaid vergleicht diesen als Osmose bezeichneten Effekt mit dem Mischen von Apfelsaftschorle. Die osmotische Strömung kann eine Turbine antreiben, die Strom erzeugt. „Das Einzige, was wir brauchen, ist also Salz, Wasser, Speicherbehälter, Rohrsystem, Membran, Pumpen und Turbinen“, erklärt Technikleiter Tadeh Nazari. Alles verfügbare, harmlose und umweltschonende Dinge.

HOPES-Team vor einem Windrad

Bei einer Dokumentation für Arte konnte das Team seine Technik direkt in einem Windrad zeigen. Dies Foto entstand bei den Dreharbeiten.

Energieerzeugung durch Osmose

Die einfache Konstruktion lässt sich problemlos im breiten, hohlen Fuß eines Windrads unterbringen: Unten steht ein Tank mit Salzwasser. Bei kräftigem Wind presst eine Pumpe diese Lösung durch eine Membran, die Salzlauge und reines Wasser trennt. Diese beiden Lösungen fördert eine Pumpe in einige Meter höher aufgestellte Tanks. Dort bleiben sie, bis wieder Energie benötigt wird: Sowohl das Gefälle als auch der osmotische Druck – das Bestreben, Wasser und Salz gleichmäßig zu mischen – treiben dann eine energieerzeugende Turbine an.

Diese Idee haben sich Alobaid und seine Mitstreiter 2020 patentieren lassen. „Dabei war uns das Team von HIGHEST eine riesige Hilfe“, so Alobaid. „Eine Idee reicht ja nicht – die Umsetzung ist genauso wichtig, und dafür hatten wir tolle Unterstützung“. Gemeinsam mit dem heutigen Projektkoordinator und Wirtschaftsingenieur Pascal Koschwitz begannen im selben Jahr die ersten Überlegungen für eine Ausgründung. Heute gehören auch Nazari und der fürs Marketing zuständige Alfred-Walter Haag zum Start-up-Team. Der dominierende, lebhafte Alobaid hatte sein Maschinenbaustudium in Damaskus mit Auszeichnung abgeschlossen. Zum Master kam er nach Darmstadt; für die anschließende Promotion verlieht ihm die TU 2014 einen Sonderpreis. Dank der Förderung durch den TU-eigenen Pioneer Fund baute das Team 2020 eine erste prototypische Anlage.

HOPES-Video

Video vom Hessischen Gründerpreis 2023

Günstig, umweltfreundlich, sicher

In der hintersten Ecke des Darmstädter Technikums öffnen die Erfinder die schwere Tür eines hohen grünen Containers. Dieser große Schuppen mit Hinterhof-Charme beherbergt einige Technikanlagen der TU, darunter auch den Prototyp für die HOPES-Anlage. Unscheinbare Kunststofftanks beinhalten die Salzlösung, einer unten, zwei auf einer blauen Stahlbühne in zehn Metern Höhe. Blaue Rohrleitungen verbinden oben und unten. „Wenn wir eine dreiprozentige Salzlösung mit reinem Wasser mischen, entstehen 30 bar Druck“, erklärt Nazari. Das entspricht dem Druck einer Wassersäule über 300 Meter Höhe. Damit ist der Energiegewinn aus der Wasser-Salz-Mischung deutlich höher als aus dem Gefälle: „Wir erzielen auf chemischem Weg etwa fünfmal mehr Energie als aus dem Höhenunterschied“, so der Techniker.

Osmose – Energiespeicherung der Zukunft

Zwei aufsteigende Rohrleitungen pumpen die getrennten Wasser- und Salzlösungen zum Speichern aufwärts. Zur Energieerzeugung treiben sowohl das Gefälle also auch der osmotische Sog eine Turbine an. 

Alobaid zeigt Bilder eines Windrad-Turms: Die 60-200m hohen Anlagen haben einen Fuß von etwa 7-20 Metern Breite, der hohl ist. „Das sind mehrere tausend Kubikmeter ungenutzter Raum“, sprudelt es aus dem begeisterten Alobaid heraus. Nur etwa zehn Prozent nehme die Windradtechnik ein. Für die HOPES-Konstruktion wollen die Techniker etwa ein Viertel des leeren Raums nutzen. „Damit können wir bis zu 30 Prozent der Höchstleistung eines Windrads speichern“. Möglicherweise stabilisieren die Flüssigkeitstanks im Fuß sogar die riesigen Windräder zusätzlich. Die gesamte Höhe des Konstrukts zu nutzen, ist aus statischen Gründen nicht sinnvoll.

Neben dem bislang ungenutzten Raum und der unmittelbaren Nähe der Energiequelle sieht Alobaid im lokalen Speicher im Windrad einen weiteren Vorteil: Bisher ist aufgrund des Erneuerbare-Energien-Gesetzes das Speichern wenig attraktiv, weil es Energiespeicher sowohl als Verbraucher als auch Erzeuger berechnet. Innerhalb eines Windrads könnte diese Aufteilung jedoch wegfallen, weil der gespeicherte Strom im erzeugenden Windrad bleibt, also erst beim Verlassen bepreist wird.

Das Gründerteam von HOPES: Falah Alobaid, Pascal Koschwitz, Alfred-Walter Haag und Tadeh Nazari.

HOPES-Idee stößt auf Begeisterung

Die HOPES-Idee haben Windparkbetreiber und Energieversorger bereits mit großem Interesse aufgenommen. Mittlerweile hat das Team aber auch die Anwendung als Speicher für Photovoltaik-Anlagen im Auge. Seit einer ARTE-Dokumentation über ihre Idee stünde ihr Telefon nicht mehr still, so Marketingchef Haag. Viele private Betreiber großer Photovoltaikflächen hätten Interesse am Salzwasserspeicher angemeldet: „Sie überzeugt unser einfaches, ungefährliches System ohne Chemikalien, das weder Seltene Erden noch Klimaanlagen benötigt und als geschlossenes System völlig pflegeleicht ist“, so Alobaid – und wirkt dabei fast selbst erstaunt, dass die Osmoseanlage jenseits der Windräder auf so viel Begeisterung stößt. Derzeit sichtet das Team die vielen Kundenanfragen und sucht nach passenden Partnern.

windfarm_nicholas-Fotonachweis: doherty-pONBhDyOFoM-unsplash

Ein Firmenkonsortium aus Pumpen- und Turbinenhersteller sowie Stahllieferanten hilft dem Start-up bei Technik, Genehmigungen und Kontakten. Derzeit arbeitet das Team an Kostenschätzungen, um aus dem Labormaßstab in die erste kommerzielle Anlage zu gehen. Die soll bei einem Privatkunden mit einer Speicherkapazität von 100kWh entstehen. Das größte Problem sieht Alobaid derzeit im fehlenden Personal; Start-ups könnten mit den hohen Gehältern und Dauerstellen etablierter Unternehmen nicht konkurrieren.

Für junge Nachahmer hat er einige Gründertipps: „In Darmstadt sein“, lautet der erste. Über den TU-Ideenwettbewerb könne man sich einen guten Ruf erarbeiten, und von TU, HIGHEST und dem Pioneer Fund hervorragende Unterstützung erhalten.  „Über die Idee reden“, ist der zweite Rat: Neuerungen nicht im Kopf behalten, sondern mit anderen austauschen – niemand klaue Ideen, davon müsse man sich frei machen. Und schließlich: „einfache, kleine Erfindungen“, die seien schneller und ohne viel Geld umsetzbar.

Man brauche viel Durchhaltevermögen, Geduld und Verständnis, ergänzt der ruhigere Nazari. Auf Nachfrage berichten sowohl der im Iran geborene Techniker als auch der syrisch-stämmige Alobaid, dass ihnen häufig erstmal Vorurteile entgegenschlügen: „Wer nicht waschechtes Deutsch spricht, wird nicht für einen pfiffigen Erfinder gehalten“. Es dauere daher oft, bis sie andere überzeugen könnten. „Doch in Syrien wäre ich heute nicht das, was ich jetzt hier bin“, betont PD Dr.-Ing. Alobaid, der sich 2017 habilitierte und seit 2020 TU-Privatdozent ist.  Der deutsche Markt sei zwar schwierig, aber wichtig: Wer sich hier etabliere, habe es international leichter. „Wir haben lange für unsere Idee mit dem Energiespeicher gekämpft: we hope with HOPES ist unser Motto.“ Mit ihrer umweltfreundlichen Technologie wollen sie dazu beitragen, die Klimaziele zu erreichen und Deutschlands Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern.

Text und Fotos: Anja Störiko

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