Erfinderstory

23. Februar 2023

Laden von Elektroautos mit Schwung

ADAPTIVE Balancing Power GmbH baut Ladestation mit Schwungmassenspeicher

ADAPTIVE Balancing Power GmbH baut Ladestation mit Schwungmassenspeicher

Ein mechanischer Energiespeicher revolutioniert das ultraschnelle Laden von Elektroautos: Das dynamische Start-up „ADAPTIVE Balancing Power“ bringt ein reibungsfrei arbeitendes Hochleistungs-Schwungrad zur Marktreife. Damit können Elektroautos während eines kurzen Einkaufs aufgeladen werden.

Hendrik Schaede-Bodenschatz bringt den Kreisel zum Schnurren: Mit einem kleinen Schnipp angestoßen, rotiert er lange weiter und speichert dabei Energie. Dieses Prinzip hat das Start-up-Unternehmen ADAPTIVE Balancing Power verfeinert: Statt einer Scheibe kommt ein dicker, mannshoher großer Ring zum Einsatz. Er wird zwischen Magneten schwebend gelagert – ohne Reibungsverluste und ohne Verschleiß. Der Anschub kommt aus dem normalen Stromnetz. Ein gewöhnliches Niederspannungsnetz reicht aus, um die Energie im Schwungrad so zu speichern, dass sie für das ultraschnelle Laden von Elektroautos genutzt werden kann.

 

Das Schwungrad – eine alte Idee mit neuem Schwung

Mit Magnetlagern fing alles an, in Schaede-Bodenschatz‘ Diplom- und Doktorarbeit. Oder noch viel früher: „Ein Schwungrad ist die älteste Form eines Energiespeichers, zum Beispiel bei Töpferscheiben“, erklärt der Maschinenbauer. Auf dieser Grundlage entwickelte er im Team von Prof. Dr.-Ing. Stephan Rinderknecht am Institut für Mechatronische Systeme der TU Darmstadt während seiner Promotion von 2008 bis 2014 eine neue Bauform für ein Schwungrad, um Strom zu speichern. „Dass es für diese Idee einen Markt geben würde, war uns von Anfang an klar“, sagt der heute 42-Jährige mit ruhiger Selbstverständlichkeit. Etwas überrascht war das Team allerdings, als ein Patent der NASA aus den 1970er Jahren zu diesem Prinzip auftauchte – die hatte damals während der Ölkrise in diese Richtung geforscht, die Bauform aber nie funktionsfähig realisiert.

Gründer Hendrik Schaede-Bodenschatz

Der Kreisel symbolisiert die Schwungradtechnologie von ADAPTIVE.

Das Gründerteam: Hendrik Schaede-Bodenschatz und Nicolai Meder

NASA-Forschung umgesetzt

Das NASA-Patent ist längst abgelaufen, aber ADAPTIVE hat sich im Laufe der Zeit verschiedene Aspekte für die Industrialisierung patentieren lassen, wie die Serienfertigung, die Nutzung als Ladestation und die Sicherung der Lebensdauer. „Als junger, motivierter Wissenschaftler habe ich damals im Team mit viel Forscherdrang einen neuen Schwungmassenspeicher entwickelt“, fasst Dr.-Ing. Hendrik Schaede-Bodenschatz seine Promotion nüchtern, aber ein wenig schmunzelnd zusammen. „Dass diese Bauform funktioniert, haben wir 2013/14 als Erste weltweit nachgewiesen.“ Anders als bisher in der Industrie üblich, verwendeten sie statt einer Schwungscheibe einen dicken, hohen Ring, was sich als physikalisch vorteilhaft erwies. Dieser drehende „Turm“ aus leichten, aber extrem festen Kohlefasern kann auf der Innenseite platzsparend Motor und Lager aufnehmen.

Damit schufen die Darmstädter Maschinenbauer die technologische Basis für ihr heutiges Geschäftsmodell. Auf 1.400 Quadratmetern siedelte sich „Adaptive Balancing Power“ im vergangenen Jahr in Pfungstadt an. Rund um die nagelneue Montagehalle gruppieren sich 35 Arbeitsplätze in elf Büros, die noch nicht alle bezogen sind. ADAPTIVE ist auf Wachstum ausgelegt. 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treffen sich täglich in dem offenen Gebäude: „Vertrieb, Produktion, Entwicklung – alle laufen sich hier über den Weg, das ist gewollt“, sagt Managing Director  Schaede-Bodenschatz.

Auf der Lauer für die passende Marktnische

Das Gründerteam der TU Darmstadt hat es weit gebracht. Im Jahr 2012 schrieb Nicolai Meder seine Bachelorarbeit bei Hendrik Schaede-Bodenschatz. Damals kamen die beiden Maschinenbauer zum ersten Mal mit HIGHEST, dem Innovations- und Gründungszentrum der TU, in Kontakt. Mit dessen Unterstützung erhielten sie 2016 ein EXIST-Gründerstipendium der Bundesregierung. Noch im selben Jahr gründeten sie die ADAPTIVE Balancing Power GmbH. „Wir waren im Lauermodus, denn es war klar, dass Energiespeicher ein Schlüssel für die Energiewende sind“, sagt der zurückhaltende Hendrik Schaede-Bodenschatz durchaus selbstbewusst. Welche der vielen möglichen Marktnischen sich als die ideale erweisen würde, war noch unklar.

Der erste Schwerpunkt lag auf dem Ausgleich von Schwankungen im Stromnetz, die bei Solar- oder Windenergie im Sekunden- oder Minutenbereich vorkommen. Das Prinzip des Kreisels, der – einmal angeschubst – Energie speichert, kann solche Schwankungen ausgleichen. 2019 investierte das Beteiligungsmanagement Hessen: „Eine extrem mächtige Hilfe“, betont Schaede. Kurz darauf nahm das Thema Ladeinfrastruktur für Elektroautos bundesweit Fahrt auf. „Da sind wir vom Lauermodus in den Skalierungsmodus gewechselt – das war ein rasanter Wechsel direkt in den Markt.“

Auto während des Einkaufs aufladen

In und vor der ADAPTIVE-Halle stehen jetzt elegante Ladesäulen. Die ersten sind bereits verkauft. Im Gegensatz zu bisher üblichen Ladestationen benötigen sie kein großes Trafohäuschen mit Anschluss an ein Mittelspannungsnetz, was einschließlich Genehmigung bis zu zwei Jahre dauern kann. Der kompakte ADAPTIVE-Speicher im Format eines kleinen Geräteschuppens ist schnell montiert und arbeitet mit Niederspannung, die überall verfügbar ist. „Damit bringen wir das Laden in den Alltag, zum Beispiel während des Einkaufs im Supermarkt“, sagt Schaede-Bodenschatz. Denn die Ladesäule mit 250 Kilowatt Leistung ermöglicht ultraschnelles Laden: 100 Kilometer Reichweite in 5 Minuten, Vollladung in 20-30 Minuten. Das sei zukunftsweisend: „Denn damit kann unser System mehr als die heutigen Autos benötigen“.  Zudem ist es mit prognostizierten 25 Jahren und einer Million Ladezyklen sehr langlebig – im Vergleich zu Batterien, die nur bis 5.000 Ladezyklen überstehen und höchstens halb so alt werden.

Ultraschnelllader für den Flottenbetrieb

Diese Lebensdauer sei dem klassischen Maschinenbau zu verdanken, betont Hendrik Schaede-Bodenschatz: „Damit hat Deutschland viel Erfahrung.“ Zulieferer, auch aus der Automobilindustrie, könnten die notwendigen Teile ohne große Investitionen herstellen. Die lokale Produktion erhöhe die Nachhaltigkeit. Zudem basiere der Speicher auf recycelbaren Komponenten und benötige kaum Seltene Erden. ADAPTIVE-Ultraschnelllader ließen sich in der Hälfte der Zeit und zu zwei Drittel der Kosten vergleichbarer Ladestationen montieren. Auch erste Systeme für Busse, die das Laden während kurzer Halte- und Ruhezeiten ermöglichen, sind derzeit im Testbetrieb.

„Unser nächstes Ziel ist die Serienfertigung“, sagt Mitgründer Nicolai Meder, heute technischer Leiter. Bisher gibt es in Deutschland erst 10.000 Schnellladestationen, das Ziel bis 2030 sind 200.000. Der Markt ist also da. Mit steigender Stückzahl sinken die Kosten entsprechend. ADAPTIVE ist dabei, sich von Fördermitteln und Zuschüssen zu emanzipieren. Zunehmend sind Investoren beteiligt, die sich eines Tages gute Gewinne erhoffen. Dieser Tag rückt näher. „Aber es dauert immer alles länger, als man denkt“, hat Schaede-Bodenschatz gelernt. Das gibt er auch jungen Gründer:innen als Tipp weiter: „Gründung ist kein Sprint, sondern ein flotter Marathon“. Zeit sei das kostbarste Gut, das ein Start-up habe.  Es lohne sich nicht, jemanden mühsam zu überzeugen, der einen unnötig hinhält, so Hendrik Schaede-Bodenschatz. Sowohl bei Förderungen, Stipendien und Preisen als auch bei Investoren müsse man abwägen, wie viel Zeit und Energie das jeweils wert sei. „Alles, was nicht effizient ist: abbrechen!“

Hendrik Schaede-Bodenschatz erklärt Ladestation und Speicher. Foto: Anja Störiko

Unbeirrt die Richtung beibehalten – und netzwerken

Hätte er etwas anders machen können? „Mehr Fokussierung“, antwortet Schaede-Bodenschatz nach kurzem Nachdenken: Es sei wichtig, viel von außen aufzunehmen, aber man müsse seine Linie unbeirrt durchhalten. Sich auf einen verlockenden Preis zu bewerben, der nicht in diese Linie passt, sei nicht zielführend. Wichtig sei ein gutes Netzwerk, Anlaufstellen wie HIGHEST, Beratung von anderen Gründer:innen und der Austausch etwa auf dem Innovation Day. Gründungsinteressierten empfiehlt er ein Praktikum in einem Start-up, einen tiefen Einblick bis in die Geschäftsführung. Es sei wichtig, sich mit Menschen zu umgeben, die sich vor wenigen Jahren selbst die Finger schmutzig gemacht und Gründungserfahrung gesammelt haben. Bei ADAPTIVE arbeiten auch Bachelor-, Master- und Werkstudentinnen und -studenten, die zum Teil als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernommen werden.

Wohin wächst ADAPTIVE? „Ich will und werde mich irgendwann überflüssig machen“, ist Schaede-Bodenschatz überzeugt. Wenn die Gewinne künftig sprudeln, wollen die Investoren ihr Geld zurück. Ein Ausstieg ist für Schaede-Bodenschatz dann selbstverständlich – „ein Familienunternehmen wird das sicher nicht“. Mittelfristiges Ziel ist es aber erst einmal, die Gewinnzone zu erreichen. „Das fasziniert mich total“, strahlt Schaede-Bodenschatz: „Ich mache genau das, was ich machen will – aber irgendwann spiele ich keine Rolle mehr“.

Autorin: Anja Störiko

Die Gründer Hendrik Schaede-Bodenschatz (links) und Nicolai Meder (rechts) mit dem Prototyp für eine Ultra-Schnellladestation: links die Ladesäule, rechts der Speicher mit der Schwungrad-Technologie. Foto: ADAPTIVE

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