Wollen den Einreisestress für internationale Talente beenden: Gustavo Campa Valenzuela und Ines dos Santos Tlijani, Co-Founder von OptiMIigration
Credits: Heike Jüngst
Deutschland braucht Fachkräfte, dringend. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) warnt: Ohne Zuwanderung fehlen dem Arbeitsmarkt jedes Jahr rund 400.000 Arbeitskräfte, denn die einheimische Erwerbsbevölkerung schrumpft aufgrund des demografischen Wandels rapide. Doch komplizierte Einwanderungsverfahren stellen internationale Talente, deutsche Unternehmen und auch Hochschulen oft vor große Hürden. Hier setzt „OptiMigration“ an: Ines dos Santos Tlijani und Gustavo Campa Valenzuela, Gründer:innen eines innovativen Start-ups in Zusammenarbeit mit der TU Darmstadt, arbeiten an einer digitalen Plattform, die den Einwanderungsprozess bei der Ausländerbehörde revolutionieren soll. Herzstück ist ein KI-gestützter Chatbot, der Antragsteller:innen durch die Bürokratie führt – schnell, effizient und benutzerfreundlich.
Im Interview erzählen die beiden, wie ihr Unternehmensvorhaben die Einwanderung transformieren könnte, welche Herausforderungen sie als Gründer:innen meistern müssen und warum sie überzeugt sind: „Wir brauchen ein optimiertes und zukunftsorientiertes Zuwanderungssystem, um den Innovationsstandort zu sichern. Und wir müssen dafür sorgen, dass Unternehmen und internationale Talente noch schneller zusammenfinden.“
HIGHEST: Wie kann eine KI-Anwendung dabei helfen, Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen für ausländische Arbeitskräfte und Studierende schneller zu erteilen?
Gustavo Campa Valenzuela: „Unsere Plattform soll vor allem die typischen repetitiven Aufgaben übernehmen, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Sie kann zum Beispiel die Unterlagen der Antragsteller direkt auf Vollständigkeit prüfen, beim Ausfüllen der Formulare unterstützen und dabei helfen, häufige Fehler zu vermeiden. Das spart sowohl den Antragstellern als auch den Behörden unglaublich viel Zeit. Eine Besonderheit der Plattform ist, dass sie den Antragsteller in seiner Sprache durch den gesamten Prozess führt – das ist essenziel, wenn man kein Deutsch spricht. Sobald der Antrag online korrekt erfasst wurde, kann er direkt digital an die Behörden übermittelt werden, so dass keine unnötigen Verzögerungen entstehen.“
HIGHEST: Kann man mithilfe dieser Plattform schon vor dem Gang zur Ausländerbehörde den ganzen Papierkram erledigen?
Ines dos Santos: „Ja, genau das ist das Ziel. Die Plattform soll es den Antragstellern ermöglichen, alle erforderlichen Unterlagen bereits online hochzuladen und zu prüfen. Wenn sie dann zur Behörde gehen, dann ist schon alles vorbereitet. Das heißt, die erforderlichen Unterlagen sind korrekt ausgefüllt, vollständig und vorgeprüft, sodass der Termin bei der Behörde lediglich zur Überprüfung der Originalität der Dokumente dient.“
HIGHEST: Was ist denn grundsätzlich das Problem für alle Beteiligten: für die Antragsteller, für die Ausländerbehörden, für die Arbeitgeber und die Universitäten?
Gustavo: „Das Grundproblem ist eigentlich, dass der ganze Prozess unglaublich kompliziert und ineffizient ist. Für die Antragsteller ist es frustrierend, weil sie oft monatelang auf Termine oder Entscheidungen warten müssen. Hinzu kommen Sprachbarrieren und ein Papierkrieg, der einfach überfordern kann. Auf der anderen Seite sind die Ausländerbehörden völlig überlastet. Sie stehen vor der Aufgabe, den Spagat zwischen Effizienz und Gründlichkeit zu schaffen, um das Verfahren sowohl fair als auch sicher zu gestalten. Die Mitarbeiter:innen haben aber viel zu viele Anträge und veraltete IT-Systeme, die ihre Arbeit noch schwieriger machen. Die meisten Ausländerbehörden sind nicht ausreichend digitalisiert. Vielerorts sind Faxgeräte das Mittel der Wahl, um Dokumente zu verschicken. Und das im Jahr 2024!
Für Arbeitgeber und Hochschulen bedeutet dies, dass sie ihre Fachkräfte oder Studierenden nicht rechtzeitig erhalten, was die internationale Attraktivität von deutschen Institutionen verringert. Es ist eine Lose-Lose-Situation für alle“.
HIGHEST: Gustavo, Du machst als Mexikaner immer wieder die bisweilen entwürdigende Erfahrung mit den Ausländerbehörden. Was geht da vor? Und wie fühlt sich das an?
Gustavo: „Ehrlich gesagt ist es sehr erniedrigend. Man steht mitten in der Nacht stundenlang in der Schlange, oft draußen in der Kälte, und weiß nicht, ob man am Ende des Tages überhaupt weiterkommt. Manchmal bekommt man widersprüchliche Informationen oder Unterlagen gehen verloren. Ich habe zum Beispiel zuerst an der Universität Ilmenau studiert und dort meinen Bachelor gemacht. Für meinen Master in Entrepreneurship bin ich dann an die TU Darmstadt gewechselt. Die Unterlagen von der Ausländerbehörde in Thüringen sind nie in Darmstadt angekommen!!! Man hat das Gefühl, man muss ständig beweisen, dass man hier sein darf, obwohl man alles richtig macht. Das ist wirklich belastend, emotional und mental“.
HIGHEST: Ines, Du arbeitest in einer Rechtsanwaltskanzlei, die sich auf das Migrationsrecht spezialisiert hat. Ist das deutsche Einwanderungsrecht derart kompliziert?
Ines: „Ja, leider ist es wirklich so kompliziert. Die Gesetze ändern sich ständig und es gibt so viele verschiedene Anforderungen, die man beachten muss. Viele unserer Kunden fühlen sich völlig verloren und brauchen dringend Unterstützung. Es ist wirklich schade, dass man so viel Fachwissen braucht, um so etwas Grundlegendes wie eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen.
HIGHEST: Wer alles profitiert von Eurer Plattform?
Gustavo: „Das Schöne ist, dass wirklich alle am Einwanderungsverfahren Beteiligten davon profitieren. Für die Antragsteller wird das Verfahren einfacher und schneller. Die Mitarbeiter in den Behörden haben weniger Stress, weil sie keine unvollständigen oder fehlerhaften Anträge mehr bearbeiten müssen. Die Arbeitgeber können ihre internationalen Fachkräfte schneller einstellen und die Hochschulen werden attraktiver für internationale Studierende. Es ist ein Gewinn für alle.
HIGHEST: Mit dem Konzept für „OptiMigration“ wollt Ihr im Laufe des Jahres 2025 ein Start-up gründen. Wie seid Ihr darauf gekommen, aus dem komplizierten deutschen Einwanderungsgesetz ein Geschäftsmodell zu machen?
Gustavo: „Die Idee kam uns ehrlich gesagt aus eigener Erfahrung. Wir haben gesehen, wie schwierig und nervenaufreibend das sein kann, und dachten: Das muss besser gehen. Wir haben uns angeschaut, was mit moderner Technologie möglich ist, und gesehen, dass hier ein riesiger Bedarf besteht. Es war also eine Mischung aus persönlicher Betroffenheit und dem Wunsch, ein echtes Problem zu lösen.
HIGHEST: Ihr habt das Konzept zu eurer Idee beim TU-Ideenwettbewerb eingereicht und seid direkt Finalisten geworden. Euere Innovation stößt auf ein riesiges Interesse. Wie geht ihr jetzt weiter vor?
Ines: „Im nächsten Schritt werden wir unsere Kooperationen vertiefen. In Kooperation mit dem International Service der TU Darmstadt und Unterstützung von HIGHEST und Vizepräsident Prof. Dr. Thomas Walther arbeiten wir eng mit der Ausländerbehörde Darmstadt zusammen, um sicherzustellen, dass die Plattform genau die Probleme löst, die in der Praxis auftreten. Workshops und das Feedback der Nutzer sind dabei sehr wichtig. Außerdem planen wir, unser Konzept noch bekannter zu machen, um weitere Unterstützer zu gewinnen.
HIGHEST: Wo steht ihr gerade mit eurer Gründerreise?
Gustavo: „Derzeit suchen wir vor allem Softwareentwickler, die uns bei der technischen Umsetzung der Plattform unterstützen. Parallel dazu sprechen wir mit potenziellen Investoren und suchen nach Fördermitteln, um die Finanzierung sicherzustellen. Es ist also eine sehr spannende Phase und wir Blicken mit großer Freude in die Zukunft!
Das Interview führte Heike Jüngst.