Ein einziges Büro im schicken Gründerzentrum HUB31 reicht Christian Hertle und Jens Hambach für ihr Start-up SFM Systems: Software benötigt nicht viel Platz. Hambach klappt seinen Laptop auf und zeigt das ganze Universum ihres Datensystems: „Hier kann der Arbeiter Probleme und Fehler eingeben, dort speisen die Maschinen aktuelle Zahlen ein, der Werksleiter erhält ein regelmäßiges ausgewertetes Update mit Handlungsvorschlägen, Routinetermine wie die Überprüfung von Fluchtwegen werden automatisch berücksichtigt, das Management laufend informiert.“
Dokumentieren, kontrollieren, optimieren
Mit dem einfachen und übersichtlichen System können Produktionsteams ihre Arbeit dokumentieren, kontrollieren, optimieren. „Produktionsführung“ könnte man das Kürzel SFM (Shopfloor Management) frei übersetzen: „Shopfloor“ ist die Fabrikhalle, die das System verwaltet („managed“). Die Software macht alle arbeitsplatzspezifischen Informationen verfügbar, sodass jeder im Team die Aufgaben, Abläufe und Ziele überblickt. Vom Bandarbeiter bis zur Kostenstelle können alle die gesamte Datenwelt des Unternehmens einsehen, auswerten und mit Maßnahmen vor Ort verbinden.
Die Idee dazu entstand in einer Lernfabrik am Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt. „Wir wollten in unserem Projekt alle Prozesse, die dort möglich sind, widerspiegeln“, so Hertle. „Aber es gab keine geeignete Software – also haben wir sie selbst gebaut“. 2017 stellten sie ihre Idee am HIGHEST-Gründerstammtisch vor: „Das war eine Katastrophe, wir waren ganz schlecht vorbereitet“. Dennoch gab das Feedback den Anstoß, die Idee ernsthaft zu verfolgen – was für Hertle am Ende seiner Promotionszeit gut passte.
Hambachs Promotion war noch in Arbeit, was einen Antrag auf das staatliche Förderprogramm EXIST ausschloss, weil sich beide Antragsteller vollständig auf die Gründung hätten konzentrieren müssen. Über HIGHEST gelang eine Finanzierung mit dem Hessen-Ideen-Stipendium. 2018 gründeten die beiden promovierten Maschinenbauingenieure SFM Systems.
Farbhersteller als ersten Kunden gewonnen
Einen Kontakt aus dem Forschungsprojekt zu einem Farbhersteller im nahen Ober-Ramstadt konnten die Gründer mitnehmen; er ist noch heute Kunde und hat seine Produktion mittlerweile mit dem „Digitalen Teamboard“ – so der Name der Software – vernetzt. Damit sehen Führungskräfte wiederkehrende Fehler in der Farbmischung umgehend, können entsprechend reagieren und mittels strukturierter Problemlösung diese Fehler künftig vermeiden. „Effizientere Meetings und schnellere Problemlösungen, bis zu 80 Prozent Zeitersparnis für Kennzahlenerfassung und Berichte und zwei Prozent Produktivitätssteigerung jährlich“, verspricht die Website des Start-ups.
Der Vorteil des SFM-Systems: es löst die bisherige Mischung aus Aushängen, Papierbergen, Excel-Dateien und Maschinen-Kennzahlen ab. Das System verknüpft diese unterschiedlichen Daten, etwa die Excel-Liste für die tägliche Feinplanung, Urlaubs- und Krankmeldungen, Zielvorgaben aus dem SAP-System und die jeweiligen Betriebsdaten verschiedener Maschinen.
Shopfloor Management Software, die selbst durch das System führt
Die Software führt alle Beteiligten durch das System: Einmal pro Schicht werden im Betrieb die Kennzahlen besprochen, Fehler benannt und Lösungen diskutiert. Stückzahlen etwa sind für alle Mitarbeitenden an einer digitalen Tafel sichtbar und gelangen mitsamt Änderungsempfehlungen bis ins Management. Beispielsweise erhalten Zuständige bei Problemen automatisch eine E-Mail. „Ein Mangel, eine defekte Maschine, ein Rückstau – alles wird registriert und mit Handlungsempfehlungen an die geeignete Stelle geleitet“, erklärt Hertle. Das habe auch einen psychologischen Effekt: Wer bisher vergeblich auf Fehler oder Verbesserungsmöglichkeiten hingewiesen habe, dringe dank klarer Datengrundlage leichter durch.
Vom Elfenbeinturm in den Markt
Das Start-up generierte von Anfang an Einnahmen, berichten die Gründer stolz. Heute wirft es genug ab für zehn Mitarbeitende, darunter einige Studierende. „Wir mussten aber anfangs lernen, dass ein vielgelobter Prototyp etwas ganz anderes ist, als damit Geld zu verdienen“, so Hambach. Die Ansprüche an ein käufliches Produkt seien hoch. „Wir sind vom Uni-Elfenbeinturm manchmal auf dem Boden des Marktes gelandet“, ergänzt Hertle. So habe er einmal einem Kunden mit einer aufwändigen Präsentation unzählige technische Features vorgestellt – aber überzeugt habe zum Schluss ein ganz simpler Notfall-Knopf.
Die Gründer sehen einen riesigen Markt für ihre Software. Neben den ersten Großunternehmen fokussieren sie sich bislang auf mittelständische Kunden: „Dort lässt sich das System allmählich einführen, ohne deren Kapazitäten zu überfordern – denn kleine Unternehmen haben meist keine IT- und Fachabteilungen“, so Hambach. Allerdings habe die Pandemie neue Kontakte erschwert; es fehlten die Treffen mit dem Partnernetzwerk der TU und die Messen. Auch die Einführung des Systems vor Ort sei schwieriger geworden. Doch beide Gründer genießen die Freiheit und Kreativität ihrer Selbständigkeit: „Wir würden es auf jeden Fall wieder machen“.
Text: Anja Störiko