„Diese Pharmaladung ist gerade am New Yorker Flughafen gelandet und dort jetzt im Kühllager“, zeigt Nico Höler auf einem großen Bildschirm. Als einer der drei Gründer von Tec4med erklärt er die Funktion der Sensoren, die Kühltransporte in Echtzeit dokumentieren: Sie zeichnen die Transportstrecke und die sich entsprechend ändernden Außentemperaturen auf. Die Innentemperatur hingegen bleibt auch über die gesamte mehrtägige Transportstrecke konstant. „Im Pharmabereich stecken schnell mal 30 Millionen Euro in einer Palette – diese kostbare Fracht muss zuverlässig überwacht werden“, erklärt Höler. Oft geht es um Menschenleben, etwa wenn Knochenmarkspenden oder Organe sicher und schnell transportiert werden müssen.
500 Quadratmeter im Darmstädter Westen
Der Hersteller von Temperierungs- und Überwachungssystemen mit 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist den Kinderschuhen entwachsen. Ein Jahr nach der Gründung zog Tec4med 2018 in schicke 500 Quadratmeter Bürofläche im Darmstädter Westen. Neben großzügigen Büros gibt es eine klassische Werkstatt zum Prüfen, Kalibrieren und Konstruieren, mit Schrauben, Werkzeug und Werkbank, sowie einige 3D-Drucker, mit denen Prototypen entworfen werden. „Mittlerweile sind wir eher ein Softwareunternehmen,“ betont Höler. Das war ein Grund, wegen dem Mitgründer und Hardware-Spezialist Voigt vor zwei Jahren ausschied. Der dritte Mitgründer, Softwareingenieur Julian Poths, ist bis heute dabei.
Höler hatte während seines Studiums zum Wirtschaftsingenieur Silicon-Valley-Luft geschnuppert: „Während zwei Semestern an der kalifornischen Universität Santa Barbara hat mich das Gründerfieber gepackt“, so der 31jährige. Zurück an seiner Heimatuni TU Darmstadt rief er den „Entrepreneurs-Club“ ins Leben und stieß dabei auf Martin Voigt und dessen Idee für eine effizientere Kühlbox. Voigt, der im Nebenjob Blutproben transportierte, hatte beobachtet, dass herkömmliche passive Boxen mit Kühlakkus nicht zuverlässig und dauerhaft die Temperatur halten, gerade wenn es zu Verzögerungen kommt. So entstand die Idee einer elektronischen Kühlung, überwachbar und jederzeit nachladbar.
Kühlung von Notfallmedizin, Medikamente und Impfstoffe
Es gelang, den hohen Stromverbrauch durch gezielte Unterbrechungen des Kühlkreislaufs so weit zu senken, dass die Temperatur lange stabil bleibt – ein System, dass 2016 patentiert wurde. Die aufladbaren Akkus der „NelumBox“ kühlen beispielsweise in der Notfallmedizin Blutkonserven, Medikamente und Impfstoffe. Mit einem Tracking-System lässt sich dabei die Temperaturstabilität verfolgen. „Unsere Kühlbox hält zwei Tage die Temperatur“, so Höler. Überwachungsfühler messen ständig Außen- und Innentemperatur, die aufgezeichnet werden und über die Cloud des Unternehmens jederzeit abrufbar sind.
„Kunden brachten uns auf die Idee, dieses Überwachungssystem herauszulösen und auf andere Nutzungen zu übertragen“, berichtet Höler. Das bundesweite Gründerprogramm EXIST ermöglichte dies mit einer Förderung von über 100.000 Euro; weitere Unterstützung kam von der EU. Bei diesen Anträgen war die Beratung des HIGHEST-Teams hilfreich.
Mit Stipendium zum Prototypen
„Mit 1000-Euro-Stipendien haben wir uns zwei Jahre über Wasser gehalten“, schildert Höler die Anfangsphase. „Mit unserem Vollzeitjob waren wir manchmal durchaus neidisch auf unsere Kommilito:innen, die schon ein Mehrfaches verdienten, während wir im dunklen Kämmerlein an unserem Prototypen bastelten, der noch nicht mal richtig funktionierte“. Dennoch gewannen die Gründer 2018 die ersten Investoren, die heute knapp ein Drittel der Anteile halten. Es folgten Preise und Auszeichnungen – etwa ein zweiter Platz beim Hessischen Gründerpreis 2019 und ein Platz unter den Top-Start-ups in Hessen.
Eigene Software und Cloud mit hohen Sicherheitsstandards
Das Team arbeitet mit komplett eigener Software und Cloud, für optimale Bedienerfreundlichkeit und Sicherheit. „Wir sehen uns als „Apple“ der Pharmalogistik“, so Höler. Geräte, Apps, Cloud seien wie im Apple-Universum einfach bedienbar und optimal aufeinander abgestimmt. Das ist in der sensiblen Pharmabranche besonders wichtig, deren wertvolle Fracht ständig überwacht und nachweisbar kühl, trocken oder erschütterungsfrei transportiert werden muss. Am Transport des Corona-Impfstoffs bei -80°C wurde das deutlich, auch wenn Tec4med als kleines Unternehmen davon nur wenig profitiert hat.
Die hohen Sicherheits- und Überwachungsstandards schätzen mittlerweile auch andere Kunden: „Wir transportieren beispielsweise teure Laptops in unseren verschließ- und überwachbaren Boxen“, so Höler. Eine Erweiterung in den Lebensmittelbereich sei denkbar, aber Ressourcen und Manpower müssten allmählich wachsen. „Wir können uns schon jetzt nicht mehr alles über den Tisch zurufen“. Verwaltung, Personal, Strukturierung und Kommunikation kosten Zeit. „Unsere Stärke ist der persönliche Kundenkontakt, mit Ideen direkt auf Interessenten zugehen, den Markt anhören und dazu ein passendes Produkt entwickeln“, sagt Höler. Selbst gute Kunden müsse man immer umwerben, „niemand reißt einem das Produkt aus der Hand“.
Ideen gibt es genug: ein plombiertes „SmartLock“, ein elektronisches Label für den Postversand, verschiedene Messsonden, Künstliche Intelligenz zur Vorhersage von Kühlversagen sowie weitere smarte Lösungen sind derzeit in der Entwicklung. Aus dem Start-up ist ein Unternehmen mit Zukunftsperspektive gewachsen.
Text: Anja Störiko