Success Story

7. November 2024

Der Organe-Drucker 

Was man alles drucken kann! Implantate, Fleischersatz, Mini-Organe entstehen am Institut für BioMedizinische Drucktechnologie unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Andreas Blaeser.

Andreas Blaeser mit einem Muster eines maschinengedruckten Steak-Imitats vor einer industriellen Biodruck-Anlage für das Drucken von Geweben, Organen oder Fleisch vom Labor bis in den Industriemaßstab. Foto: Anja Störiko.


Organe und Fleischersatz aus dem Drucker – die Vorstellung hat etwas von Science-Fiction. Wenn Andreas Blaeser durch das Institut für Druckmaschinen und Drucktechnik führt, an klassischen großen Druckmaschinen und Werkstätten vorbei, scheint diese Vision noch fern. Doch in seinem Büro werden auf einem großem Bildschirm und einem vielgenutzten Flipchart solche Produkte schnell lebendig. Wie kommt man dazu, Zellen, Gewebe und Organe zu drucken?

Spielerisch mit Technik den Alltag vereinfachen

„Meine Eltern erzählen, dass ich schon als Kind immer Sachen ‚erfunden‘ habe“, schmunzelt Blaeser. So konstruierte er mit Lego-Technik eine Vorrichtung, um gekochte Eier aufzuschlagen. Solch spielerisches Basteln führte zum Maschinenbau-Bachelor in Mannheim. Den praktischen Teil seines dualen Studiums absolvierte Blaeser am Forschungszentrum Karlsruhe (KIT). „Dort begeisterte mich ein Artikel in einer internen Broschüre über eine intelligente Armprothese mit Tastgefühl“, erzählt der gebürtige Rheinländer. Die Biomedizin habe ihn sofort in seinen Bann gezogen. Doch damals gab es in Deutschland kaum Studiengänge in diesem Bereich. In Aachen wurde er fündig: „Gewebezüchtung: das ist die Zukunft – das musst du studieren!“, sei er überzeugt gewesen und bewarb sich für das internationale Masterprogramm Biomedical Engineering.

Dreidimensionale gedruckte biologische Strukturen (unten) und die zugehörigen virtuellen 3D-Modelle (oben). Quelle: Andreas Blaeser et al., Controlling Shear Stress in 3D Bioprinting is a Key Factor to Balance Printing Resolution and Stem Cell Integrity, Adv. Healthc. Mater. 5, 326, 2016, DOI: 10.1002/adhm.201500677.

Feuer und Flamme für sein Forschungsthema

In den USA gab es zu diesem Zeitpunkt erste Versuche, Zellverbände dreidimensional zu drucken, also in gewünschte Formen zu bringen und wachsen zu lassen. Die Vision der Organherstellung entstand. Blaesers Masterarbeit befasste sich bereits mit dem Zelldruck. Er entwickelte wässrige Gele – eine Art Gelatinemasse – als Lebensraum für Zellen. In diese Zeit fällt seine erste Erfindungsmeldung: eine Stützflüssigkeit, um 3D-Strukturen zu stabilisieren. Diese sei patentiert und heute noch aktuell. 

Weitere Patente entstanden in der anschließenden Promotion vor rund zehn Jahren. Hierbei ging es um das Design von Materialien, die eine dreidimensionale Struktur unterstützen: Wie können Zellen ohne Schaden wachsen und geformt, also gedruckt werden? Am Ende dieser Zeit wagte Blaeser eine erste Ausgründung, die Black Drop Biodrucker GmbH. Die Firma entwickelt 3D-Biodrucksysteme und „Bio-Tinten“ zur Herstellung von biologischen Geweben und Mini-Organen.

2018 übernahm Blaeser die Leitung der Abteilung „Medizinische Textilien“ an der RWTH Aachen. „Vorher ging es mehr um die Grundlagen der Zell-Biomaterial-Interaktion, jetzt um deren medizinische Anwendung“, erklärt Blaeser. Viele medizinischer Implantate bestehen aus textilen Strukturen, beispielsweise gewirkte Gefäßprothesen oder geflochtene metallische Stents. Es wuchsen erste Industriekontakte zu europäischen Medizintechnikunternehmen. „Vor allem habe ich in dieser Zeit gelernt, dass Implantate praxistauglich sein müssen“, so Blaeser: „gewebekompatibel, elastisch, fest, damit Chirurgen sie handhaben und falls erforderlich vernähen können“. 

Kurz darauf eröffnete sich eine spannende Perspektive: An der TUDa war die Leitung der biomedizinischen Drucktechnologie ausgeschrieben. Das Institut bietet eine große Bandbreite an Druckverfahren, alle gängigen Technologien vom Labor- bis zum vorindustriellen Maßstab. Blaeser brachte mit seinen neuen Verfahren rund um lebende Zellen eine neue Variante ins Spiel.

 

Gruppenfoto vom Sommerfest des Instituts für BioMedizinische Drucktechnologie. Quelle: IDD, TuDa.

Blutgefäße und Organe drucken: das geht!

Schon in den ersten Monaten habe er mit Kolleg:innen hier ein Phänomen entdeckt und umgesetzt: Beim Tiefdruck entstehen mikroskopisch feine Strukturen. Blaeser skizziert sie auf einem Flipchart wie ‚Finger‘: „Sie galten eigentlich als Druckfehler“, aber Blaeser assoziierte sie umgehend mit Abbildern kleinster Blutgefäße. An diesen Strukturen könne man einzelne Zellen, Gefäße oder Nervenbahnen entlang wachsen lassen, so seine Idee. Eine wissenschaftliche Publikation bewies einige Monate später, dass der Ansatz erfolgsversprechend ist. Für die Erfindungsmeldung und Patentanmeldung fanden sich erste Lizenz-Interessierte. HIGHEST sei dabei ein äußerst engagierter Ansprech- und Sparringspartner, lobt Blaeser. Die Unterstützung bei Erfindungs- und Patentanmeldungen, Ausgründungen und der Gestaltung von Business-Plänen findet er äußerst hilfreich: „Darmstadt bietet dadurch ein exzellentes Umfeld zur Translation von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft“. 

Eine weitere spannende Idee ist der „3D-Biodruck“ von kultiviertem Fleisch – als zukünftiger Fleischersatz: Mit einem eigens entwickelten Druckprozess können Muskel- und Fettzellen so in Form und Struktur gebracht werden, dass schließlich lebendes Muskelgewebe entsteht. Eines Tages könnte auf diese Weise Fleisch ohne konventionelle Tierhaltung in größerem Maßstab produziert werden. „Wir beschäftigen uns dabei insbesondere mit der Skalierung bestehender Biodruckverfahren vom Labor- in den Industriemaßstab“, so Blaeser. Das Verfahren sei nicht in der Grundlagenforschung von Interesse, sondern stoße auch auf große Resonanz in der Industrie. Eine Translation der Forschungsergebnisse in die Praxis – durch Ausgründungen oder Lizenzvergaben – ist daher geplant.

25 Postdocs und Doktorand:innen arbeiten in den fünf Gruppen von Blaesers Team. Hinzu kommen zahlreiche Studierende mit ihren Abschlussarbeiten oder als studentische Hilfskräfte. Begeistert beschreibt Blaeser die regelmäßige Teilnahme am internationalen Studierendenwettbewerb SensUs in Eindhoven. Teams aus 10-15 Studierenden weltweit messen sich dort mit ihren Ergebnissen eines jeweils einjährigen Projekts zur Entwicklung eines Biosensors. „Da geht es um Genauigkeit, Geschwindigkeit, Kreativität, technische Herausforderungen, Transferleistungen bis hin zum Business-Case und Start-up“, erzählt der Dozent begeistert. Letztes Jahr war sein Team mit einem zweiten Platz in der Kategorie „Public Inspiration“ erfolgreich. 

Das Feld der Biosensorik ist sehr breit: von Messsystemen zur Bestimmung des Blutzuckerwerts für Diabetiker über tragbare Fitness-Tracker bis hin zu Teststreifen wie bei Corona. Solche Sensoren aus verschiedenen Schichten von Kunststoffen, Elektroden und Biomaterialien werden im Erfolgsfall mit industriellen Druckverfahren in großen Stückzahlen gefertigt, schlägt Blaeser den Bogen zurück zum Kern seines Instituts.

 

Ein Gefäß-versorgtes Organ-on-a-Chip-System. Links oben: schematische Darstellung des Chips mit den darin gedruckten Zellinseln. Unten links: Foto des noch nicht gefüllten mikrofluidischen Chips, unten Mitte: nach dem Bedrucken mit Bio-Tinte. Rechts: Nach zwei Wochen bilden sich eine Art Gefäße mit Verästelungen im Chip aus. Quelle: Anna Fritschen et al, High-Scale 3D-Bioprinting Platform for the Automated Production of Vascularized Organs-on-a-Chip, Adv. Healthc. Mater., 2304028, 2024, DOI: 10.1002/adhm.202304028, CC BY-NC 4.0.

Tierversuche reduzieren

Blaeser entwickelt miniaturisierte Gewebe bestimmter Organfunktionen, gezüchtet auf einem mikrofluidischen Chip. Er hatte die Grundkonzepte solcher Organ-on-a-Chip-Systeme bei einem Forschungsaufenthalt in Kalifornien kennengelernt. So hat sein Team einen Chip konstruiert, auf dem Blutgefäß-ähnliche Strukturen erzeugt und durchpumpt werden können. Kombiniert mit weiteren Zelltypen lassen sich damit beispielsweise Teile einer Leber, einer Niere oder eines Herzens nachstellen. Genutzt werden die lebenden Modelle, um die Wirkung von Medikamenten zu testen oder Wirkstoffe gegen Krebs zu erforschen. Das weltweite Rennen zur Herstellung solcher Organ-Chips hat gerade begonnen und stößt auf einen breiten Markt. Das große Versprechen: Pharmafirmen erhoffen sich hierdurch eine starke Reduktion von Tierversuchen, die aktuell für die Erforschung von Wirkstoffen erforderlich sind. Die nächste Etappe an Blaesers Institut ist die Kombination unterschiedlicher Gewebe und Mini-Organe auf einem Chip. „Mit Hilfe solcher Body-on-a-Chip-Systeme kann nicht nur die direkte Wirkung auf ein Organsystem, sondern auch der Austausch unterschiedlicher Gewebeteilen naturgetreuer abgebildet werden“, so Blaeser. Gemeinsam mit Projektpartnern aus der Industrie haben er und sein Team die für die Herstellung solcher Modelle benötigten Chips zum Patent angemeldet. 

Ein weiteres Patent gilt speziellen Mikrofasern, die den Zellen während der Verarbeitung zugesetzt werden können. Sie lassen beispielsweise Zellen in eine bestimmte Richtung wachsen oder leiten Nährstoffe in tiefere Gewebeschichten. Zudem prüft das Team derzeit, wie Druckprozesse unter Schwerelosigkeit funktionieren – ein Parabelflug dafür ist bereits gebucht. Die Ideen sprudeln nur so aus dem 39-Jährigen. Doch vieles ist noch im Entwicklungsprozess und daher geheim. 

Prüfaufbau zur Untersuchung des 3D-Biodrucks unter Schwerelosigkeit (oben links). Das entwickelte System wurde nach Bordeaux transportiert und in den Flieger installiert (oben rechts, unten links). Quelle: IDD, TUDa.

Wertvolle Forschung – auf Anwendung trimmen

Neben der Grundlagenforschung legt Blaeser Wert auf die Übertragung der Forschungsergebnisse in die Gesellschaft. Seine große Vision: durch Ausgründungen, Kooperationen und Ansiedlung von Unternehmen ein Innovationsbiotop rund um die akademische Forschung der Uni zu schaffen. „Es ist eine tolle Entwicklung, wie wichtig Start-ups im Uni-Umfeld geworden sind“. Der geleistete Aufwand werde als Wert begriffen, an denen sich Universitäten inzwischen landesweit messen. Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung legen dabei häufig den Grundstein von Start-ups. „Dieses Mitdenken, Begleiten, Anschieben ist wichtig; Forschung und erfolgreiche Start-ups befruchten sich gegenseitig“, ist Blaeser überzeugt. Wissenschaftler:innen erleichtere dieser Austausch zudem den Übergang zwischen Academia und Industrie. Außerdem könnten erfolgreiche Ausgründungen wiederum durch Kooperationen zur Forschungsfinanzierung beitragen. Blaeser hat jedenfalls bereits die nächsten Patente im Auge, an denen die TUDa beteiligt sein wird.

Andreas Blaeser, Leiter des Fachgebiets BioMedizinische Drucktechnologie an der TUDa, mit einem Chip, auf dem Organ-Modelle gezüchtet werden können. Foto: Anja Störiko.

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