Das Start-up-Projekt FlipoQ der Hochschule Darmstadt h_da entwickelt ein neuartiges Fertigungsverfahren für den 3D-Druck von Kunststoffbauteilen. Die Gründer:innen lösen gleich zwei klassische Probleme des Schmelzschichtdrucks: Sie benötigen weniger Stützstrukturen und haben keine Probleme mit der Anhaftung des Bauteils an der Bauplattform, was die Materialvielfalt enorm erweitert. Derzeit bereitet das Team am Mediencampus in Dieburg die Markteinführung eines völlig neuartigen Druckerprototyps vor – gefördert durch den EXIST-Forschungstransfer des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und unterstützt durch das Innovations- und Gründerzentrum HIGHEST.
Bauteile, Orthesen, Organe, Schokoladenfiguren, ganze Häuser und Autokarosserien – der 3D-Druck verändert als innovative Technologie seit 40 Jahren die Welt. Und sie hat noch viel Entwicklungspotenzial. Davon ist Dr.-Ing. Jens Butzke überzeugt, konkret vom additiven Schmelzdruckverfahren für Kunststoffe. Der studierte Ingenieur für Kunststofftechnik und promovierte Werkstoffwissenschaftler erfindet derzeit mit einem fünfköpfigen Team die Architektur des herkömmlichen 3D-Drucks neu. „Wir haben die klassische 3-Achsen-Technologie um eine vierte Achse erweitert“, erklärt Jens Butzke die Innovation. „Dadurch verkürzt sich die Zykluszeit für jedes Bauteil im Produktionsprozess. Das spart Material und Energie. Außerdem benötigen wir keine konventionellen Stützkonstruktionen mehr.“ Eine Idee, die aus der Forschung heraus zur Gründung des Start-up-Projekts FlipoQ führte. Butzke leitet das Team.
Patentierte 4-Achsen-Technologie
Die nachhaltige Produktion von additiv gefertigten Kunststoffteilen in Originalmaterialqualität erreicht das Team von FlipoQ mit einem Netz, das aussieht wie die Bespannung eines Tennisschlägers. Dieses lässt sich um 180 Grad drehen – oder um jeden anderen Winkel. Denn das Druckbett befindet sich nicht auf dem Boden, sondern in der Mitte des Druckergehäuses. „Im ersten Schritt wird das Netz in den Rahmen gedruckt, der aus dem gleichen Material besteht wie das gewünschte Bauteil“, erklärt Birk Schefczik die Technologie. Er ist im Team für Forschung und Entwicklung zuständig. „Auf beiden Seiten des Netzes wird dann prozessoptimiert das gewünschte Bauteil erzeugt. Das Netz muss nur noch entfernt werden, was im Vergleich zu herkömmlichen Trägergeometrien fast ohne Materialverlust möglich ist.“
Der Clou: Das Start-up-Projekt kann damit nahezu jeden Kunststoff in jede beliebige Form drucken. Mit dieser neuartigen, patentierten Webrahmen-Netzwerkkonstruktion verändert FlipoQ die Architektur des Druckens nachhaltig und ressourcenschonend.
Gründungsprojekt: Fortschritte und Rückschläge
Am Anfang stand die Idee von Jens Butzke, einen 3D-Drucker zu entwickeln, der kostengünstig individuelle Turnschuhe für Kinder und Jugendliche drucken kann, die im Idealfall auch noch recycelbar sind. Geniale Innovationen entstehen eben oft aus Herausforderungen des Alltags. Die Suche nach einem geeigneten Herstellungsverfahren führte zur Entwicklung des 4-Achsen-Verfahrens. Es war die Geburtsstunde eines Start-up-Unternehmens: „Grundsätzlich ist unser Verfahren maßgeschneidert für alle Anwendungen, bei denen additiv gefertigte Bauteile mit komplexen Geometrien und variierenden Stückzahlen und Abmessungen benötigt werden. Aufgrund der Möglichkeit, neben unserer Technologie auch zertifizierte Materialien zu verwenden, sehen wir ein großes Potenzial im Bereich der Medizintechnik.“ Marius Mischlich, im Team für die digitale Prozessentwicklung verantwortlich, ist überzeugt: „Wir betreten damit industrielles Neuland. Unser Verfahren ist technisch einzigartig.“
Doch der Weg dorthin war nicht einfach, erzählt Linda Phetsananh. Sie ist ebenfalls Ingenieurin für Kunststofftechnik. Bei FlipoQ kümmert sie sich heute um Marketing und Vertrieb. „Der größte Rückschlag für uns war bisher, dass wir die Entwicklung eines Maschinenkonzepts nach mehr als 18 Monaten Arbeit einstellen mussten. Das war eine sehr schwere Entscheidung, aber wir mussten einsehen, dass das Produkt in dieser Form nicht skalierbar war.“
Rückschläge, die das gesamte Gründungsvorhaben in Frage stellen, sind für ein Start-up-Team eine große Belastung. Es spricht für Jens Butzke, dass er als Teamleiter die Gruppe so motivieren kann, dass sie ihre Produktstrategie an die Bedürfnisse des Marktes anpasst. „Wichtig ist dabei, dass wir unser Ziel, die Unternehmensgründung, nicht aus den Augen verlieren.“ Und: Das gesamte Team habe einen wissenschaftlichen Hintergrund und verstehe Rückschläge als Zeichen, sich neu zu orientieren. Da ist Butzke in seinem Selbstverständnis ganz Wissenschaftler.
Neuorientierung ermöglicht Existenzgründung
Die Herausforderung, ihre Technologie neu zu denken, hat sich für FlipoQ gelohnt: Das Kunststofftechnik-Start-up plant für die nächsten 1,5 Jahre die Gründung eines Unternehmens. Dafür hat es Fördergelder in Höhe von 700.000 Euro aus dem so genannten EXIST-Forschungstransfer erhalten. Mit diesem Programm fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz überzeugende Geschäftsideen aus der Forschung. Damit können die Gründer:innen die Entwicklung beschleunigen, um sich am Markt zu positionieren. Mit an Bord ist seitdem auch Christian Ladner. Der Wirtschaftsingenieur bringt seine Expertise im Bereich Finanzen und Controlling ein. Auch er ist überzeugt: „Unser Verfahren eröffnet die Möglichkeit, nahezu jeden thermoplastischen Werkstoff zu Bauteilen zu verarbeiten. Unsere Zukunft sehen wir in der Gesundheits- und Medizintechnik, die ohne Kunststoffprodukte nicht auskommt.“ Potenzial sieht das Gründerteam bei medizinischen Hilfsmitteln wie Orthesen, aber auch bei Greifsystemen im Anlagenbau. Perspektivisch sollen auch großflächige Drucke möglich sein, etwa im Bauwesen oder in der Automobiltechnik.
FlipoQ positioniert sich dabei kundenorientiert: Als Dienstleister will das Start-up zum einen die nachhaltige Produktion von additiv gefertigten Kunststoffteilen in Originalmaterialqualität anbieten. Vor allem aber wird FlipoQ seine neuartigen 3D-Drucker nach Kundenwunsch bauen und im Direktvertrieb vermarkten.
Autorin: Heike Jüngst | Bilder: Heike Jüngst, Video: FlipoQ