Erfinderstory

26. Januar 2023

Medizinisches Plastik vom Feld

Die Antwort von BIOVOX lautet: Zuckerrohr. Die Kunststoffe des Start-ups sind durch diese Pflanze zu 100 Prozent biobasiert.

Tipp: HIGHEST-Podcast mit BIOVOX – hör rein!
Die Gründer von BIOVOX (von links):Vinzenz Nienhaus, Carmen Rommelund Julian Lotz

BIOVOX entwickelt Biokunststoffe für die Gesundheitsbranche

Hygienisch, günstig, haltbar und leicht zu entsorgen: Einwegplastik ist im Klinikalltag die Option schlechthin. Das Problem: Plastik auf fossiler Basis setzt nicht nur der Umwelt, sondern auch dem Klima zu. Allein in Deutschland hat das Gesundheitswesen einen Anteil von 5,2 Prozent am Klimagasausstoß – auch aufgrund der Verwendung von Einwegplastik. Das Start-up BIOVOX ist angetreten, mit biobasierten Kunststoffen für Medizinprodukte die CO2-Emissionen zu reduzieren.

Kunststoff-Compounds von BIOVOX sind zu 100 Prozent biobasiert und verringern damit den CO2-Fußabdruck deutlich.

Die Gründer von BIOVOX (von links): Vinzenz Nienhaus, Carmen Rommelund Julian Lotz

Plastik in der Medizin – das sind Infusionsbeutel, deren Inhalt Menschenleben retten, Milliarden Einwegspritzen mit Impfstoffen, die etwa der Corona-Pandemie den Kampf ansagen, Plastikskalpelle und Einweghandschuhe, die für ein Höchstmaß an Hygiene an sorgen. „Kunststoff ist nicht einfach gut oder schlecht. Es kommt auf die Inhaltsstoffe und Produktionsweise an“, sagt Dr. Julian Lotz. Er ist einer der drei Gründer:innen des Darmstädter Start-ups BIOVOX. Mit nachhaltigen Kunststoffen lässt sich der CO2-Fußabdruck nachgewiesenermaßen deutlich reduzieren. Die Jungunternehmer produzieren deshalb hochwertige Verbundmaterialien aus Biokunststoff speziell für die Gesundheitsbranche. Ein Geschäftsmodell mit Zukunft: Forschende der ETH Zürich gehen davon aus, dass die weltweite Kunststoffproduktion von 2015 bis 2030 um vierzig Prozent ansteigen wird. Der Bedarf ist enorm.

Drei Maschinenbauer, eine Idee

BIOVOX, das sind die Maschinenbauingenieure Dr. Julian Lotz (CEO), Carmen Rommel (COO) und Dr. Vinzenz Nienhaus (CTO). Zusammengetan haben sie sich nach einem „Start-up & Innovation Day“ der TU Darmstadt. Das war 2019. Lotz und Rommel kannten sich vom Fachgebiet der TU, an dem beide arbeiteten, Nienhaus war begeistert von deren Vision, mit grüner Technologie eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft selbst mitzugestalten.

Ausschlaggebend für ihre Start-up-Idee war die Erkenntnis: Der Verzicht auf Plastik ist im Gesundheitswesen nicht sinnvoll, aber der Werkstoff muss erheblich nachhaltiger werden. Den Fokus auf die Gesundheitsbranche hat Nienhaus aus der Entwicklung von Biokunststoff-Implantaten mitgebracht: Das Potenzial für klimaschonende Medizintechnik ist groß. Auch, wenn mancherorts noch Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Mit unternehmerischem Mut und der Unterstützung von HIGHEST, dem Innovations- und Gründungszentrums der TU, gründeten die drei Ende 2020 ihre GmbH.

Plastikflut in Krankenhäusern

Lotz, Rommel und Nienhaus wissen, dass es für die Gesundheitsbranche keine Option ist, Klimaschutz gegen Patientensicherheit abzuwägen. „In der Medizin werden Menschenleben gerettet. Die Frage nach der Nachhaltigkeit der Gebrauchsartikel stand deshalb lange nicht im Vordergrund“, sagt Julian Lotz. „Seit einiger Zeit aberhat auch hier ein Umdenken eingesetzt.“ Dazu habe mit Sicherheit auch die EU mit ihren schärferen Klimaschutzverordnungen beigetragen.Klimagesetze, die dem Start-up in die Karten spielen. Der Ansatz von BIOVOX: Die Produktion von Kunststoff als solchem muss klimafreundlich sein. „Wir beschäftigen uns mit den Fragen danach, welche Kunststoffe und welche Additive mit welchen Grundstoffen emissionsarm hergestellt werden können“, so Julian Lotz.

Alles Zucker

Die Antwort von BIOVOX lautet: Zuckerrohr. Die Kunststoffe des Start-ups sind durch diese Pflanze zu 100 Prozent biobasiert. „Nachhaltig wird unser Produkt durch den deutlich geringeren CO2-Fußabdruck im Vergleich zu den Materialien, die aktuell auf dem Markt sind“, erklärt Co-Gründerin Carmen Rommel. „Als Grundlage für biobasierten Kunststoff eignen sich alle Pflanzen, die Stärke und Zucker enthalten.“

Praktisch sieht das dann folgendermaßen aus: BIOVOX stellt Granulatmischungen als Grundstoff für Medizintechnikproduzenten her. Sie selbst nennen es „Backmischungen“. Ein schönes Bild. „Je nach dem welche Eigenschaft das Endprodukt haben soll – weich, fest, antimikrobiell -, mischen wir unsere Compounds zusammen“, erklärt Carmen Rommel. „Die unterschiedlichen Beschaffenheiten der `Backmischungen´ erreichen wir durch bestimmte Additive und Füllstoffe. So stellen wir dann die entsprechenden `Rezepte´ zusammen.“ „Gebacken“ werden mit diesen Compounds hochwertige Medizinprodukte und -verpackungen aus Biokunststoff. Sie sind für Spritzguss, Extrusion und 3D-Druck geeignet. Kundenorientierung ist bei BIOVOX großgeschrieben.

Nachhaltige und sichere Medizinprodukte

Was BIOVOX von Mitbewerbern unterscheidet: Ihre Biokunststoffe sind zertifiziert in ISO 13485-Qualität hergestellt und nach ISO 10993 auf ihre Sicherheit für den Patienten geprüft. Das bedeutet, ihre Kunststoffe entsprechen denselben Normen und Hygienevorschriften, wie die Kunststoffe, die derzeit in Kliniken eingesetzt werden. „Unsere Kunststoffe bieten also nicht nur eine sehr eng kontrollierte Qualität und maximale Sicherheit, sondern auch eine lückenlose Dokumentation der Entwicklung sowie aller Rohstoffe und Verarbeitungsschritte. Das gilt natürlich auch für kundenspezifische Compounds.“

Mit der Zertifizierung kommen die drei BIOVOX-Gründer ihrem Ziel, Medizinprodukte nachhaltiger zu machen, einen großen Schritt näher. Und erleichtern es Medizinprodukteherstellen, sich für Biokunststoffe von BIOVOX zu entscheiden. „Die Produzenten wissen, dass unsere Materialien regulatorisch sicher sind. Das haben wir für sie schon vorab geprüft und nachgewiesen.“ Julian Lotz ist überzeugt, dass das normgerechte, umfassende Qualitätsmanagementsystem bei der Entwicklung und Herstellung von Medizinprodukten ein ausschlaggebendes Argument für die Gesundheitsbranche ist, auf nachhaltige Materialien umzustellen.

Sie selbst, als Unternehmen, wollen ebenfalls noch nachhaltiger werden. Einen Teil der Rohstoffe bezieht BIOVOX bereits jetzt bei einem regionalen Lieferanten. Mittelfristig, so der Plan, soll dieser Anteil noch steigen und neben heimischem Feedstock auch ein hoher Recyclinganteil im Biokunststoff eingesetzt werden. „Da sind wir gerade dabei, die Lieferketten aufzubauen“, erzählt Carmen Rommel.

Langer Weg zur Serienproduktion

Noch ist BIOVOX auf Investoren angewiesen. Bis zur Serienproduktion in der Medizintechnik ist es für nachhaltige Produkte aus ihrem Biokunststoff ein langer Weg. Machbarkeitsstudien, Produktentwicklung und klinische Studien für die Zulassung brauchen sehr viel Zeit. „Es dauert üblicherweise zwei bis fünf Jahre, bis ein Medizintechnikunternehmen einen neuen Kunststoff wie unseren im großen Stilordert“, sagt Julian Lotz. Doch die drei Gründer geben sich entspannt. Sie wissen: Der Bedarf an umwelt- und klimaschonendem Material in der Gesundheitsbranche ist groß und steigt gerade stark an. In diesem wachsenden Markt möchte BIOVOX die Marktführerschaft für nachhaltige Kunststoffe im Lifescience-Bereich auch behalten.

 

Autorin: Heike Jüngst

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