Wie kühlt man einen Planeten, der sich immer mehr erwärmt, umweltschonend, sicher und effizient? Für MagnoTherm-Geschäftsführer Max Fries ist die Antwort klar: „Wir müssen weg vom Gas.“ Gefragt nach der Bedeutung des neuen Kühlgeräts, dessen Prototypen sein Team gerade für die ersten Integrationstests vorbereitet, holt der Materialwissenschaftler etwas weiter aus in der Geschichte eines Industriezweigs, in dem sich mit Blick auf die Grundtechnologie seit mehr als hundert Jahren wenig verändert hat. Denn die Kühlindustrie setzt auch heute noch weitgehend auf Kompressionskühlung. Das Problem: Dieser Prozess ist angewiesen auf gasförmige Kältemittel, die alle gravierende Nachteile haben. Angefangen bei den explosiven natürlichen Gasen wie Propan, Butan oder CO2 über das künstliche Gas FCKW, das die Ozonschicht zerstört, bis hin zu seinem Nachfolger FKW, das den Treibhauseffekt verschärft.
Grundlagenforschung für einen Paradigmenwechsel
Mittlerweile verlangt die EU, dass bis 2030 FCKW und FKW in vielen Bereichen reduziert werden. Lieferengpässe und Kostensteigerungen vor Augen, verwendet die Branche deswegen wieder die gleichen natürlichen Kältegase wie im 19. Jahrhundert und nimmt dabei in Kauf, dass sie schwer handhabbar sind und mit Blick auf die Energieeffizienz außerdem an ihre Grenzen stoßen. „Einen wirklichen Paradigmenwechsel hat es bislang nicht gegeben“, sagt Fries. Den wollen er und seine Geschäftspartner – die Physiker Dimitri Benke und Tino Gottschall, Materialwissenschaftler Professor Oliver Gutfleisch sowie Wirtschaftsingenieur Timur Sirman –mit ihrer neuen Technologie und den entsprechenden Produkten jetzt mit vorantreiben. Beides gründet auf dem Prinzip der magnetokalorischen Kühlung. Der sperrige Begriff steht für einen Prozess, bei dem statt eines Gases ein Feststoff für Kühlung sorgt, der sich über gezielte Magnetisierung und Entmagnetisierung schnell aufwärmen und wieder abkühlen lässt. Nach langen Jahren der Grundlagenforschung, unter anderem auch im Fachgebiet Funktionale Materialien der TU Darmstadt, erweist sich hierfür eine Materialmischung als optimal: Lanthan, Eisen und Silizium, kurz LaFeSi.
Mit HIGHEST weiter in Richtung Gründung
LaFeSi ist kostengünstig, energieeffizient und leistungsstark – es anwendbar zu machen und „in die Maschine zu bringen“ jedoch eine Herausforderung. Dem Forschungsteam der TU Darmstadt ist es unter Leitung von Oliver Gutfleisch gelungen, die Legierung so zu veredeln, dass sie in ein kommerzielles Kühlgerät integriert werden kann. Und seit für den entsprechenden technischen Prozess der Patentantrag gestellt wurde, vergingen bis zur Gründung gerade einmal drei Jahre. Die Gründer erkannten den „radikal innovativen“ Charakter der neuen Erfindung und deren Potentiale schnell. Die Berater und Beraterinnen vom Innovations- und Gründungszentrum HIGHEST der TU Darmstadt nahmen die Wissenschaftler, die zwar eine Geschäftsidee hatten, aber wenig Erfahrung wie man sie finanziert und umsetzt, unter ihre Fittiche, coachten bei der Weiterentwicklung des Geschäftsmodelles und vermittelten, was unternehmerisches Denken bedeutet. Zusammen mit HIGHEST sicherte sich das Gründerteam die erste Finanzierungsrunde über ein dreijähriges EXIST-Forschungstransfer-Stipendium, das MagnoTherm Solutions noch bis Ende 2021 trägt.
Konkurrenzfähig in einem Zukunftsmarkt
Im Kühlgerätemarkt will das inzwischen preisgekrönte Start-up erst einmal eine Nische besetzen. Das „Kühldisplay“ – ein offenes Kühlregal, das einfach über eine Steckdose angeschlossen werden kann – ist ein Angebot für den Einzelhandel. Weitere, zum Beispiel Klimaanlagen, Server- und Transportkühlungen sollen folgen. „Unsere Technologie ist sicher und vierzig Prozent effizienter als die derzeit beste Lösung“, sagt Wirtschaftsfachmann Sirman. Doch trotz aller bisherigen Erfolge: Der Druck ein marktfähiges Produkt liefern zu müssen bleibt hoch. „Wir buddeln an vielen Löchern gleichzeitig und jeden Tag entstehen neue Baustellen“, beschreibt Technikchef Benke das Auf und Ab. Aber die Jungunternehmer vertrauen auf die Konkurrenzfähigkeit ihres Unternehmens. Sie begründet sich vor allem darin, dass sie „nicht nur das Material voll und ganz verstanden haben, sondern auch wissen wie man gute Kühlmaschinen baut“. Die Verhandlungen mit Risikokapitalgebern für die Finanzierung nach EXIST laufen bereits. Das Team und seine Kompetenzen wachsen stetig. Es sieht gut aus für die MagnoTherm Solutions GmbH. Fast zwanzig Prozent des Energiebedarfs geht heute schon weltweit in die Kühlung. In vierzig Jahren, so schätzen Experten und Expertinnen, wird die Menschheit mehr Energie für das Kühlen aufbringen müssen als für das Heizen. Grund genug dran zu bleiben. In zwei bis drei Jahren soll die erste Kleinserie des Kühldisplays in die Produktion gehen.
Von Dr. Jutta Witte
Meilensteine
2016:
- Erfindung und Patent werden durch das Fachgebiet Funktionale Materialien angemeldet
2018:
- Sieger des Ideenwettbewerbs der TU Darmstadt in der Kategorie Wissenschaft
- Gewinner des Energy Cups 2018 beim Wettbewerb Science4Life
2018 bis 2021:
- Förderung über den EXIST-Forschungstransfer
2019:
- Erster Platz beim Hessischen Gründerpreis
- Gründung der GmbH
- Finalist beim Wettbewerb Falling Walls
2020:
- Teilnahme am renommierten Spin Lab Akzelerator Programm der Leipzig Graduate School of Management (HHL)