Success Story

25. August 2022

Wissenschaft ist international

Prof. Dr. Jürgen Rödel im Porträt

Neue Herausforderungen haben Jürgen Rödel schon immer gereizt. Alle sechs bis acht Jahre entwickelt der Materialwissenschaftler deshalb ein neues Forschungsthema, dem er auf den Grund geht. „Sonst wird es ja langweilig“, sagt Rödel trocken. Wissenschaft versteht der Professor für Nichtmetallisch-Anorganische Werkstoffe der TU Darmstadt als lebendiges Gebilde, das sich immer weiterentwickeln muss – Innovationen und Technologietransfer eingeschlossen.

Rödels derzeitiges Spezialgebiet sind Elektrokeramiken, genauer gesagt Ferroelektrika und Piezokeramiken. Werkstoffe, die nahezu jeder benutzt, aber kaum jemand kennt. Man findet Ferroelektrika beispielsweise als Kondensator in Smartphones verbaut. Piezokeramiken ermöglichen Sonar für Einparkhilfen. Auch in der Medizin werden piezoelektrische Keramiken verwendet, etwa für ultraschallgetriebene Werkzeuge. Ebenso in Mikrofonen und Lautsprechern. Aus Industrie und Forschung sind Piezokeramiken nicht mehr wegzudenken. Aus gutem Grund.

Keramik 2.0

Piezokeramik ist ein Material mit einer besonderen Eigenschaft: Übt man eine Kraft darauf aus, dann erzeugt es messbare elektrische Ladung, übt man ein elektrisches Feld aus, wird sie länger. Piezokeramiken eignen sich deshalb hervorragend als Sensoren und Aktuatoren. Aus dem harten wie spröden Material lasse sich aber noch viel mehr herausholen, findet Jürgen Rödel. Er und sein Team arbeiteten deshalb jahrelang daran, den Werkstoff immer weiter zu verbessern. Das ist ihnen wiederholt gelungen, zuletzt 2021. Statt mit rein chemischen Methoden nutzen sie ein mechanisches Verfahren. Mit großem Druck bei hohen Temperaturen greifen die Wissenschaftler in die atomare Struktur der Keramik ein. Sie erzeugen auf diese Weise Versetzungen, also winzige röhrennudelähnliche Kanäle als interne Haftpunkte. Das verringert die elektrischen Verluste und erlaubt eine zusätzliche Designoption.

Prof. Dr. Jürgen Rödel

Materialwissenschaften TU Darmstadt

High-Power-Stabilität mit Piezokeramiken

Erfolgreicher Erfinder

Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass Jürgen Rödel mit seinen Forschungsergebnissen ein wissenschaftlicher Durchbruch mit Mehrwert für Anwendungen gelingt. Allein in den vergangenen 12 Jahren meldete er HIGHEST, dem Innovations- und Gründungszentrum der Technischen Universität Darmstadt, neun Erfindungen. Daraus sind acht Patente entstanden. Rödels Erfindungen gelten als sehr zukunftsgewandt und ausgereift. Der jetzt 63-jährige Wissenschaftler sagt über sich selbst, er habe erst jenseits der Vierzig bemerkt, dass er „offenbar ein durchaus erfolgreicher Forscher“ sei. In 2009 wurde er mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis ausgezeichnet, dem renommiertesten und höchstdotierten deutschen Wissenschaftspreis. In seiner Würdigung hieß es, dass er „ohne Zweifel zu den renommiertesten deutschen Werkstoffwissenschaftlern“ gehöre. „Seine herausragende Sichtbarkeit und die uneingeschränkte Akzeptanz seines wissenschaftlichen Wirkens spiegeln sich in den zahlreichen nationalen und internationalen wissenschaftlichen Kooperationen und organisatorischen Leitungsfunktionen wider.“

Übersetzt in seinen Forscheralltag heißt das: Jürgen Rödels Büro und Labor gleichen einem Taubenschlag. Studierende und Forschende aus der ganzen Welt holen sich bei ihm Rat, suchen den wissenschaftlichen Diskurs. „Als mein Sohn noch ein Kind war, dachte er, ich sei Berater“, erzählt der zweifache Familienvater. „Als ich ihn fragte, wie er denn darauf käme, meinte er, bei mir im Büro stünden immer so viele Leute rum, die Fragen stellen.“ Jürgen Rödel gilt als feiner Kerl, unprätentiös, mit einem hintergründigen, trockenen Humor.

Piezokeramiken

Umtriebiger Geist

Als Schüler wollte Jürgen Rödel eigentlich Lehrer werden. In gewisser Weise ist er das als Professor mit Lehrverpflichtung an einer Universität auch geworden – Hochschullehrer. Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen nahe der fränkischen Stadt Hof, hatte Rödel als Schüler gute Noten. Das Lernen fiel ihm leicht. Dass er nach dem Abitur dann Materialwissenschaften in Erlangen studierte, sei eher ein Zufall gewesen, erzählt Rödel. Mathematik erschien ihm einfach zu eintönig, Materialwissenschaften hingegen vielfältig und abwechslungsreich. Das Fach verbinde Chemie, Physik, Mathematik, aber auch Kenntnisse aus der Elektrotechnik oder Informatik. „Das Besondere am Studium der Materialwissenschaften ist die Kombination aus ingenieurwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Themen. Schreiben Sie das“, sagt Jürgen Rödel im Gespräch. „Viel zu wenige Studieninteressierte wissen, wie spannend und international dieses Fachgebiet ist.“ Er selbst fand zu seinem Spezialgebiet Keramik bereits während des Studiums, das er im englischen Leeds vertiefte. 1988 promovierte Rödel an der University of California in Berkeley. 1992 habilitierte er sich an der TU Hamburg-Harburg. 1998, 2004, 2011 und 2017 hatte er Gastprofessuren an den Universitäten Washington/Seattle (USA), Leeds (UK), Seattle (Australien), Beijing (China) und Tokyo (Japan) inne.

Internationalisierte Wissenschaft

Jürgen Rödel ist ein umtriebiger Forscher, für den Grundlagenforschung ebenso elementarer Bestandteil seiner Arbeit ist wie Wissenschafts- und Technologietransfer. „Die Wissenschaft liefert die Fakten und Ergebnisse, die für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft die Grundlage darstellen, auf der Entscheidungen getroffen werden können.“ Der Schlüssel zu Innovationen ist dabei die Internationalisierung der Forschung. Ohne weltweite Kollaborationen könnten die immer komplexeren Fragestellungen unserer Zeit nicht beantwortet werden, davon ist Jürgen Rödel überzeugt: „Die besten Forscher auf einem Gebiet müssen zusammenarbeiten, unabhängig davon, wo sie ihre Wurzeln haben und wo sie tätig sind.“ Für sein Spezialgebiet der Elektrokeramik gelte: „Wir hier in Darmstadt haben das Knowhow, andere Universitäten im Ausland haben komplementäres technisches Gerät.“ Jürgen Rödel, weiß wovon er spricht. In seiner wissenschaftlichen Karriere sammelte er reichlich internationale Erfahrungen. Es ist, möglichweise, seine persönliche Exzellenzstrategie.

Autorin: Heike Jüngst

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